Die Kreuzkirche auf dem Wittekindsberg

Ein besonderes Bauwerk: Die Kreuzkirche

Auf dem Wittekindsberg war im Jahre1996 durch das damalige Westfälische Museum für Archäologie (heute: LWL-Archäologie für Westfalen) eine Grabung innerhalb der Wittekindsburg aufgenommen worden.

Dabei sollten Alter und Funktion einer Bodenerhebung geklärt werden. Statt eines vermeintlichen römischen Wachpostens wurden jedoch die Fundamente einer kleinen Kirche mit kreuzförmigem Umriss entdeckt. Dieser unerwartete und höchst ungewöhnliche Befund eines im 10. Jh. in der Form eines griechischen Kreuzes errichteten Zentralbaus führte vor allen Dingen im regionalen Umfeld zu der Idee, die freigelegten Fundamente nach Abschluss der archäologischen Grabung auf Dauer sichtbar zu erhalten.

Damit die ausgegrabenen Mauern weiterhin sichtbar bleiben können und dennoch vor der Witterung geschützt sind, erwarb die GeFAO das Grundstück und errichtete in den Jahren 2000 bis 2009 einen gläsernen Schutzbau.

 

Wie sahen die archäologischen Befunde aus? Die Grabungen der Jahre 1996 und 1997

Reste eines 14 m x 14 m großen Gebäudes in Form eines griechischen Kreuzes wurden bei diesen Ausgrabungen freigelegt. Die Grundmauern mit einer Stärke von 1,1 m bestehen aus in Lehm verlegten Bruchsteinen und sind teilweise bis zu 0,8 m hoch erhalten. Der absolut symmetrische Grundriss bildet 4 Nischen von je 4 m x 4 m, die sich um ein Zentrum (Vierung) mit den gleichen Maßen gruppieren.

Ein aus kleinen Steinen und Lehm gebildeter Horizont von etwa 0,1 m bis 0,15 m Dicke glich die Unebenheiten des felsigen Untergrunds aus. Es ist unklar, ob es sich bei den aufgefundenen Mauern um Grundmauern handelt oder ob sie auch Bestandteile des Aufgehenden waren.
 

Zur Architektur der Kirche

Bei der Kreuzkirche handelt es sich um einen Zentralbau. Der Grundriss wurde absolut symmetrisch um einen Mittelpunkt entworfen. Das Gebäude hat die Form eines griechischen Kreuzes.

Von dem aufgehenden Mauerwerk sind keine Überreste erhalten geblieben.  Es fehlen Hinweise auf Tür- und Fensteröffnungen, auf die Höhe der Wände und die Art der Bedachung. Somit können über das ursprüngliche Aussehen der Kirche nur Vermutungen angestellt werden. Es ist anzunehmen, dass sich über dem quadratischen Innenraum ein Turm befand.

Vergleichbare Kirchenbauten

Zentralbauten haben eine lange Tradition in der christlichen Architektur. Der oströmische Kaiser Konstantin I. hatte im 4. Jh. n. Chr. eine monumentale Rundkirche über dem Grab Christi in Jerusalem erbauen lassen. Die Grabeskirche wurde zum wichtigsten Pilgerziel und damit Vorbild für zahlreiche weitere Bauten.

Grabeskirchen bzw. Mausoleen waren in der frühchristlichen Architektur nicht unüblich. Seine eigene Grabeskirche – die Apostelkirche in Konstantinopel – hatte Konstantin I. († 337) nach Gregor von Nazianz in einer kreuzförmigen Gestalt errichten lassen. Unter Justinian erfolgte ein Neubau. Berühmt ist auch das von vielen Touristen besuchte Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna. Dieses ist um 450 entstanden. Das digitale Bild von Boris Nasdalack erinnert an diesem Bau. 

Unter den Zentralbauten stellen die kreuzförmigen Kirchen eine besondere Form dar. Als markantes Beispiel dafür ist die die monumentale Kirche des heiligen Simeo Stylites (5. Jh.) im syrischen Qalʿat Simʿan, nordwestlich von Aleppo, zu nennen.
 
Nördlich der Alpen kommen frühe Kirchen bzw. Kapellen in Form eines griechischen Kreuzes relativ selten vor. Als Beispiele sind zu nennen: in Prag, St. Laurentius auf Burg Vyšehrad (um 1000), in Trier, Heilig-Kreuz-Kapelle Trier (1065/66), in Schuttern, Kapelle westlich des Klosters (10. Jh.) und in Krakau, St. Salvator (10. Jh.). Daneben gibt es weitere Kreuzkirchen, die sich jedoch z.B. durch abgerundete Kreuzarme (Kreuzberg bei Unterhaun, 10./11. Jh.) oder achteckige Vierung (Busdorfkirche in Paderborn, 1068) unterscheiden.

Text: Johann-Sebastian Kühlborn und Birte Reepen

 

Zwei Visualisierungsvorschläge zur Kreuzkirche auf dem Wittekindsberg

Zwei höchst unterschiedliche Rekonstruktionsvorschläge des Innenraums liegen vor.

Die digitale 3D-Grafik von Boris Nasdalack aus dem Jahre 2006 zeigt einen in Bruchsteinen errichteten Steinbau, der oberhalb der kleinen Rundbogenfenster in einem Holzaufbau seinen Abschluss findet. Der Innenraum des kleinen Sakralgebäudes wirkt lichtdurchflutet. Der futuristisch ausgelegte Entwurf entspricht mit seinen kantigen Ecken am ehesten den architektonischen Vorstellungen des 21. Jahrhunderts.

Jene, die einst vor rund tausend Jahren den Anstoß zum Bau der Kreuzkirche gaben, hatten jedoch ein völlig anderes Raumempfinden. Der von Thomas Maertens 2019 zeichnerisch umgesetzte Vorschlag orientiert sich an den Bauformen der damaligen Epoche. Dazu zählen die Rundbögen und die gewölbten Decken. Auch ist davon auszugehen, dass das Bruchsteinmauerwerk verputzt und sehr wahrscheinlich auch freskenmäßig bemalt war. Die Lichtverhältnisse im Inneren vorromanicher und romanischer Sakralbauten waren aufgrund der kleinen Fenster meist sehr gedämpft, völlig im Gegensatz zur späteren Gotik.

Text: Johann-Sebastian Kühlborn

 

Die Gräber unter der Kirche

Im westlichen und südlichen Kreuzarm wurden fünf Gräber gefunden. Vereinzelte menschliche Knochen weisen darauf hin, dass mindestens ein weiteres Grab vorhanden war.

Die Gräber waren teitweise stark gestört. Bei einigen war jedoch noch erkennbar, dass die Toten in gestreckter Rückenlage bestattet worden waren. Nach christlicher Sitte wurden die Toten mit dem Kopf im Westen bestattet, sodass ihr Blick nach Osten gerichtet war. Auch das völlige Fehlen von Beigaben spricht für christliche Bestattungen.

Mit Hilfe anthropologischer Untersuchungen der Knochen konnten teilweise Alter und Geschlecht der Bestatteten bestimmt werden. Demnach handelt es sich um eine erwachsene Frau (Grab 5) und um vier Kinder. Das älteste Kind war ein Mädchen von 6-7 Jahren (Grab3), beim jüngsten mit 1-2 Jahren (Grab 1) konnte das Geschlecht nicht bestimmt werden. In den beiden anderen Gräbern lagen ein etwa 4-jähriger Junge (Grab 2) und ein gleichaltriges Mädchen (Grab 4).

Das Grab des Jungen war sorgfältig mit Bruchsteinplatten abgedeckt worden. Kopf und Brust lagen unterhalb der Außenmauer der Kreuzkirche. Dadurch ist belegt, dass das Gebäude erst nach den Gräbern errichtet wurde.

Die Gräber scheinen Bezug aufeinander zu nehmen und der Kirchenbau scheint wiederrum im Bezug zu den Gräbern zu stehen. Daher lag die Annahme einer verwandtschaftlichen Beziehung der Toten zueinander nahe.

Wer wurde auf dem Wittekindsberg begraben?

Das Ergebnis der DNA-Untersuchungen

Da es keine Beigaben oder Grabsteine gibt, wurde die DNA untersucht, um die verwandtschaftlichen Beziehungen der Bestatteten zu ermitteln. Die DNA befindet sich in jeder Knochenzelle. Da die DNA so im anorganischen Knochenmaterial eingeschlossen ist, ist sie gut geschützt und kann lange Zeit unbeschädigt überstehen. Die Skelette vom Wittekindsberg waren unterschiedlich gut erhalten.

Mit Hilfe der DNA-Extraktion wird die DNA aus dem Knochenmaterial gelöst und dann unter Zugabe eines Enzyms vervielfältigt. Anschließend wird die gelöste DNA auf ein Gel aufgebracht. Die einzelnen DNA-Abschnitte durchlaufen das Gel abhängig von ihrer Länge unterschiedlich schnell. Die exakte Längenbestimmung findet computergestützt statt. Die Längenbestimmung von verschiedenen DNA-Abschnitten ermöglicht die Erstellung eines individuellen genetischen Fingerabdrucks.

Die DNA-Abschnitte werden Short Tandem Repeats (STR) genannt und befinden sich an unterschiedlichen Stellen (Loci) auf den Chromosomen. Die DNA-Abschnitte sind unterschiedlich lang (sog. Allele) und kommen in der Bevölkerung unterschiedlich häufig vor.
 
Da jeweils ein Chromosom vom Vater und eines von der Mutter vererbt wird, lassen sich Rückschlüsse auf Verwandtschaftsbeziehungen ziehen. Wäre die Frau also die Mutter der Kinder, müsste sie mit ihnen an jedem STR-Locus ein Allel gemeinsam haben. In diesem Fall wurden drei STR-Loci untersucht, teilweise war der Zustand der Knochenproben auch zu schlecht (s. Tabelle). Mit diesem Ergebnis kann die Elternschaft für Kind 4 zunächst nicht ausgeschlossen werden, ist aber deutlich unwahrscheinlicher als für Kind 2 und 3.

Um die Wahrscheinlichkeit zu überprüfen, ob die Frau auch Mutter der drei Kinder war, musste auch abgeglichen werden, wie häufig die Allele in der gesamten Population (Referenz wird hier die heute lebende Bevölkerung verwendet) vorkommen. Teilen sich die Individuen seltene Allele, ist eine Verwandtschaft wahrscheinlicher.

Für die Toten vom Wittekindsberg konnte festgestellt werden, dass die Frau mit hoher Wahrscheinlichkeit die Mutter des Jungen und des älteren Mädchens ist. Das Verwandtschaftsverhältnis zu Kind 4 ließ sich bisher nicht klären.

Wann wurden die Gräber angelegt? Die Radiokarbon-Analysen

Die Gräber können anhand archäologischer Methoden nicht genau datiert werden. Mit einiger Wahrscheinlichkeit kann man aufgrund der gleichartigen West-Ost-Ausrichtung und der fehlenden Beigaben davon ausgehen, dass sie nach Beginn der Christianisierung angelegt wurden. Anhand der Stratigraphie (Abfolge der Befunde im Boden) ist zumindest klar, dass das Grab des Jungen vor dem Kirchenbau angelegt wurde.
 
Um das Alter der Gräber zu klären wurde aus dem Grab des Jungen eine Probe für die Radiokarbondatierung genommen. Bei dieser auch 14C- oder AMS-Datierung genannten Methode wird das Verhältnis von Kohlenstoff-Isotopen (14C/13C) gemessen.
 
Den kalibrierten Daten zufolge ist das Grab zwischen 780 und 980 n. Chr. angelegt worden. Das Datum bzw. der Zeitrahmen wird mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit berechnet; in diesem Fall mit 95%iger Wahrscheinlichkeit.
 

Wer hat die Kreuzkirche erbaut und welchem Zweck diente sie?

Zur Deutung und Datierung der Kreuzkirche

Nach Aufgabe der mittelalterlichen Burg zog eine Frau, urkundlich Thetwif genannt, auf den Berg, um als Inkluse dort zu leben. In einer Urkunde aus dem Jahre 993 heißt es dazu: ...in quodam castello suo Wedegenburch vocato, ubi quaedam Thetwif sancta inclusa primum solitariam vitam duxit et regulam sancti Benedicti pie observavit cum aliis monachabus sanctis... Danach zog eine Einsiedlerin namens Thetwif in die einstige Burg Wedegenburch. Es kam häufiger vor, dass sich Inklusinnen in Wallburgen niederließen. Später gesellten sich zu Thetwif weitere Nonnen zu und sie lebten dort nach den Regeln des Hl. Benedikt.

Betrachtet man den bekannten räumlichen und zeitlichen Kontext, dann kommen verschiedene Deutungsmöglichkeiten in Betracht: Klosterkirche, Burgkapelle, Familiengrab?
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Aufgrund des Grundrisses erscheint eine Heilig-Kreuz-Verehrung seitens des Bauherrn nicht unwahrscheinlich. Gab es in der alten Wedegenburch eine Burgkappelle? In der in der aufgegebenen Wedegenburch haben für einige Zeit Benediktinerinnen niedergelassen. Dafür müssen Baulichkeiten, auch ein sakraler Raum verfügbar gewesen sein. War die Kreuzkirche ein teil der Klosteranlage?  Wer war die Frau mit den vier Kindern? Handelt es sich um ein Familiengrab?

Ähnliche Funktionen sind auch für die Vergleichsbauwerke des 10. Jhs. nachgewiesen: die Stiftung eines Geistlichen (Trier), Kapelle eines Adelshofes bzw. einer Burg (Prag und Krakau) und die Grablege des Klosterstifters in einem Zentralbau neben der Klosterkirche (Schuttern).

Die relativ ungenaue archäologische Datierung erlaubt keine sichere Deutung. Wenig wahrscheinlich erscheint eine Deutung als Burgkirche, da im direkten Umfeld keine Gebäude nachgewiesen werden konnten. Auch von einer Bebauung des Klosterareals wissen wir gegenwärtig nichts.

Text: Johann-Sebastian Kühlborn und Birte Reepen
Alle übrigen Texte, soweit nicht separat genannt: Birte Reepen

 

Literatur

W. Best, Die Ausgrabung des vorromanischen Zentralbaus auf der Wittekindsburg. In: Archäologie in Ostwestfalen 4, 1999, 33-41.

A. Hadjar, Das nordwestliche Kalksteinmassiv und die Kirche des heiligen Simeon Stylites des Älteren. In: M. Fansa und B. Bollmann (Hrsg.), Die Kunst der Frühen Christen in Syrien. Zeichen, Bilder und Symbole vom 4. bis 7. Jahrhundert (Mainz 2008) 62-67.

A. Jacob, Über den Ursprung des Namens „Wedegen“. In: Archäologie in Ostwestfalen 4, 1999, 46-49.

R. Plöger, Die Wittekindsburg bei Porta Westfalica, Frühe Burgen in Westfalen 11 (Münster 2018).

H. Rüthing, Der Wittekindsberg bei Minden als „heilige Stätte“ 1000 bis 2000. Religion in der Geschichte 15 (Bielefeld 2008).

T. Schultes/S. Hummel, Der genetische Fingerabdruck aus historischen Skeletten. DNA-Analysen zur Verwandtschaftsfeststellung der Individuen der Wittekindsburg. In: Archäologie in Ostwestfalen 4, 1999, 50-55.

M. Untermann, Die kreuzförmige Kapelle auf der Wittekindsburg im Licht mittelalterlicher Zentralbauten. In: Archäologie in Ostwestfalen 4, 1999, 56-64.