Neuntes Jahrhundert wird lebendig in Kreuzkirche

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Novelle von Gertrud von le Fort / Mittelalterliche Musik in der Margaretenkapelle 
 
Minden (mt). Geheimnisvoll ist der Wittekindsberg, mit den freigelegten Grundmauern der Kreuzkirche und den vier Gräbern. Ebenso geheimnisvoll sind die Prophezeiungen der Glismuoda, einer weisen Frau, von der Gertrud von le Fort in ihrer Novelle "Das Reich des Kindes" erzählt.

Mit den Darbietungen der Musiker Sabine Lutzenberger und Baptiste Romain bietet dieser Haltepunkt der "Wege durch das Land" dem Publikum nicht nur die Reise zu einem wenig bekannten Ort, sondern auch in eine ferne Zeit. Vorbei am Kaiser-Wilhelm-Denkmal aus dem 19. Jahrhundert führt ein Spaziergang auf dem Kammweg das Publikum zurück bis ins 9. Jahrhundert - zu dem in Europa äußerst seltenen, rätselhaften Kirchenbau in der Form eines griechischen Kreuzes. Die Mauerreste wurden 1996 durch Zufall inmitten einer Burganlage, die bis in das dritte Jahrhundert vor Christus zurückreicht, entdeckt und geben noch ebenso viele Rätsel auf, wie die darin gefundenen Gräber einer Frau und ihrer vier Kinder. Die Familie, deren Name im Dunkel der Geschichte verborgen ist, wurde jedoch nicht wie zunächst vermutet in der Kirche bestattet, sondern vielmehr die Kirche relativ kurz nach ihrem Tod über den Gräbern errichtet.

Mit der Einsiedlerin Thetwif stellt Dr. Brigitte Labs-Ehlert, künstlerische Leiterin des Festivals, in ihrer Begrüßung noch einen weiteren Bezugspunkt zu der Novelle der in Minden geborenen Dichterin her, die zum Katholizismus konvertierte und sich häufig mit religionsphilosophischen Fragen auseinandersetzte. Sie greift mit der Erzählung Geschehnisse aus dem 9. Jahrhundert auf, als die Konradiner Karl den Dicken absetzen und Arnulf zum König machen. Doch als der den Thron besteigt, lautet der Spruch der Seherin Glismuoda: "Ich seh´ nicht die Kraft zum Throne schreiten, ich seh´ zum Throne schreiten ein kleines schwaches Kind." Gemeint ist Arnulfs Sohn Ludwig, der als Kind König wird, aber im Ansturm der Hunnen umkommt.

Gertrud von le Fort greift in ihrer Novelle nicht nur eine Geschichte, sondern auch sprachliche Wendungen aus dem Mittelalter auf. Mit ihrem emotional zurückhaltenden Vortrag gelingt es Gertrud Roll, den Zuhörern diesen nicht ganz einfachen Text mit klug gewähltem Tempo und wohlgesetzte Pausen zu erschließen.

Nach der Pause wechselt das Publikum zwar den Ort, die Stimmung bleibt jedoch erhalten. Von der Kreuzkirche geht es in die im zwölften Jahrhundert errichtete Margaretenkapelle, die möglicherweise mit dem auf dem kurze Zeit existierenden Kloster in Verbindung steht. In dem schlichten romanischen Bau singt Sabine Lutzenberger Lieder aus dem Byzanz des neunten Jahrhunderts, die ebenso fremd klingen wie die Gedankenwelt Arnulfs. Die Sängerin, die sich seit mehr als 20 Jahren intensiv mit Musik des Mittelalters beschäftigt, trägt die kunstvollen Gesänge in altgriechischer Sprache vor und ergänzt sie mit einer gesprochenen Übersetzung. Baptiste Romain spielt dazu Renaissancevioline und Dudelsack und bildet mit den leicht schnarrenden Klängen einen schönen Kontrast zu Lutzenbergers klarer Stimme. Mit französischer Musik aus dem 13. Jahrhundert endet das Konzert mit tänzerischen Klängen, obgleich die Texte die Marienverehrung ausdrücken.

Wie schön, dass die Rückkehr in die Gegenwart über einen Spaziergang führt.


Text und Foto: Ursula Koch © Mindener Tageblatt 2013